Startseite > Nerd Alltag, Taschenrechner > Ada Lovelace, Taschenrechner, CAS und Schule

Ada Lovelace, Taschenrechner, CAS und Schule


Irgendwann während meines Studiums gelangte ich an eine Kopie des Computer Algebra Systems ‚Derive’. Dunkel erinnere ich mich an eine Versionsnummer um die 1.4. Dass ich dieses Programm in die Finger bekam, lag an meinem Unvermögen mit Formeln umzugehen. Gleichzeitig war mir aber intuitiv klar, dass ein Computer dies eigentlich können müsste und darum forschte ich ständig nach neuer Mathematik Software. Da gab es zwar interessante Sachen wie Eureka oder MathCad, aber wenn ich mich recht erinnerte, so konnten diese – zumindest damals – nicht symbolisch rechnen. Derive bekam ich von einem Kommilitonen, der selbst gar nicht realisiert hatte, was er mir da gab.

Letztens ersteigerte ich für ca. 20,- Euro einen ziemlich heruntergekommenen und leider auch defekten Taschenrechner TI-89. Nachdem ich ihn gründlich gereinigt hatte, entdeckte ich, dass die Kommataste nicht mehr funktionierte. Glücklicherweise konnte ich ihn reparieren. Der TI-89 hat ein eingebautes Computer Algebra System, welches auf dem alten Derive basiert! Damit startete ich gleich einmal wieder einen Ausflug ins Internet…

Auf der Seite der Fachgruppe Computeralgebra (dort finden sich weitere Informationen zum Ursprung des Zitats) fand ich die äußerst bemerkenswerte Aussage von Ada Lovelace:

‘Many persons … imagine that the business of the engine is to give results in numerical notations, the nature of its processes must consequently be arithmetical and numerical rather than algebraical and analytical. This is an error. The engine can arrange and combine its numerical quantities exactly as if they were letters or other general symbols; and in fact might bring out its results in algebraical notation were provisions made accordingly.’

Das hat sie sich schon vor ungefähr 200 Jahren überlegt!

Was hat das mit CAS zu tun?

Ich bin – sozusagen – mit Taschenrechnern aufgewachsen. Viele Jahre lang waren dies Geräte, mit denen man einfach nur numerische Berechnungen durchführen konnte. Fasziniert war ich von programmierbaren Taschenrechnern, wie man hier nachlesen kann. Die Rechner wurden viele Jahre lang immer besser und besaßen schließlich so viele numerische Funktionen, dass man eingebaute Kataloge benötigte, um ihrer Herr zu werden. Aber es waren immer nur Maschinen, die im wesentlichen nur Zahlen verarbeiten konnten, richtige ‚Number Cruncher‘ eben. Bei der Beschäftigung mit Mathematik nahmen sie einem das stupide Rechnen ab. Denn was ist Rechnen mehr, als ein durch unzählige Wiederholungen gelerntes Zirkus-Kunststück? Beeindruckend, was so ein Rechenkünstler alles kann.

Numerisch Rechnen kann ich zwar einigermaßen, aber es faszinierte mich, dass ein Taschenrechner dies noch viel besser beherrschte.

Als ich in der Schule mit der Umformung algebraischer Ausdrücke konfrontiert wurde, erkannte ich erst einmal nicht, dass auch dies eine Art Rechnen war. Eben das Rechnen mit algebraischen Ausdrücken. Und noch weniger hätte ich gedacht, dass auch dies etwas ist, was ein Taschenrechner zu leisten vermag. Als ich in der Folgezeit immer mehr und besser programmieren lernte, bekam ich allerdings langsam eine Ahnung davon, dass so etwas wie algebraisches Umformen vielleicht auch von einem Computer zu meistern war.

Die schlaue Ada wusste dass schon vor fast 200 Jahren.

Dies ist umso mehr verwunderlich, da ich annehme, dass die Stellung einer Frau zu dieser Zeit eine ganz andere war, als heute. Wenn man bedenkt, dass selbst heute noch in unserem Land die Frauen in vielen Punkten um ihre Gleichberechtigung kämpfen, wie muss dass dann erst damals gewesen sein? So durfte sie zum Beispiel nicht in die Royal Society. Wie hat sie es hinbekommen, dass ihr Mann, William King, Earl of Lovelace, in der Royal Society wissenschaftliche Texte für sie abschrieb? Hat sie ihn versext? Warum war sie so heiß auf Babbages Analytical Engine? War Babbage so cool?

Menschen wie Ada beeindrucken mich sehr und ich möchte immer gerne sehr viel mehr über sie und ihr Leben erfahren. Dank Internet und Wikipedia ist dies ja auch möglich. Ideal wäre es, wenn man einen Nachfahren nach ihr fragen könnte. Vielleicht hat Ada ihren Kindern von der Analytical Engine erzählt und diese wiederum ihren Kindern und so fort. Wäre doch interessant. Man müsste also so einen Nachfahren finden…

George Gordon Byron * 22. Januar 1788 in London; † 19. April 1824 in Messolongi, Griechenland Das war der Papa von Ada, ein bekannter und berühmter britischer Dichter. Er interessierte sich aber nicht für sie.
Ada Lovelace * 10. Dezember 1815 in London; † 27. November 1852 ebenda
Anne Blunt * 22. September 1837; † 15. Dezember 1917 Eine der 3 Töchter von Ada. Die Mutter von:
Judith Blunt-Lytton * 6. Februar 1873 in London; † 8. August 1957 in Crawley, Sussex Eine bekannte Züchterin von arabischen Pferden. Sie lebte bis einige Jahre vor meiner Geburt. Die Mutter von:
Anne Lytton b. 24 August 1901, d. 26 June 1979 Anne hatte, zeitlich gesehen,  schon die Möglichkeit Taschenrechner zu sehen und zu gebrauchen. Ob sie es auch gemacht hat, weiß ich nicht.

Hier erlahmte dann erst einmal mein Forschergeist. Oder richtiger ist, hier erlaubte ich mir keine weitere Zeit mehr für diese Untersuchung. Anne Lytton war nicht verheiratet und hatte darum wohl auch keine Kinder. Natürlich gibt es andere Zweige im Ahnenbaum, die ich hätte weiter verfolgen können.

Jedenfalls hatte Ada schon eine relativ konkrete Vorstellung davon, dass Maschinen wie die heutigen Computer, irgendwann einmal, nicht nur numerisch, sondern auch algebraisch rechnen können.

CAS

Ein Programm, welches das algebraische Rechnen beherrscht, nennt man Computer Algebra System, kurz CAS. Anfangs gab es CASe wohl nur auf Universitäts-Computern (Macsyma, Reduce). Bekanntere Systeme sind zum Beispiel Mathematica, Maple oder MuPAD. Doch mittlerweile sind Computer so leistungsfähig geworden, dass man ein CAS auch in das Gehäuse eines Taschenrechners packen kann. So findet sich zum Beispiel das CAS Derive in einem Gerät von Texas-Instruments, also der Marke, die auch schon in den Siebzigern weltbekannte Geräte wie den TI-58C oder den TI-59 heraus gebracht hatten, mit der Bezeichnung TI-89.

Der TI-89 sieht nahezu so aus wie ein alter Taschenrechner, einmal von seinem erheblich höheren Display abgesehen, welches es erlaubt mehrere Zeilen oder eine Grafik darzustellen. Und man kann fast genauso wie bei einem rein numerischen Taschenrechner einfache Rechenaufgaben eintippen. Um sie anschließend zu lösen, muss man allerdings ‚Enter‘ anstatt ‚=‘ drücken. Man merkt dann allerdings meist sehr schnell, dass ein paar Sachen anders sind. Zum Beispiel wird das Ergebnis oft als Bruch angezeigt! Oder die gerade eingetippte Aufgabe wird wie in einem Mathebuch mit Bruchstrichen und Wurzelzeichen in einer Art Liste aufgeführt.

Der entscheidende Punkt ist aber im Innern: Der TI-89 arbeitet völlig anders als ein numerischer Taschenrechner. Er betrachtet jeden eingegebenen Ausdruck erst einmal rein algebraisch. Ein herkömmlicher etwas älterer Taschenrechner versucht vielleicht noch ein paar Regeln wie ‚Punkt-vor-Strich‘ oder die gesetzten Klammern zu erkennen, dann verarbeitet er aber auch schon die eingetippten Ziffern und spuckt anschließend eine Dezimalzahl auf das Display. Ein TI-89 sieht sich erst einmal genau den eingetippten Ausdruck an, er interessiert sich überhaupt nicht für die eingetippten Ziffern, sondern viel mehr für die eingetippten Buchstaben und ihre Beziehung zueinander. Wenn möglich, versucht er den Ausdruck zu vereinfachen und wenn das gelingt, so gibt er ihn einfach in die Anzeige zurück. Er versucht so lange wie möglich mit mathematisch exakten Ausdrücken zu arbeiten und dass kann er nicht, wenn er den Ausdruck in eine Dezimalzahl verwandelt. Man muss ihn schon dazu zwingen und dann macht er es mit beliebiger (!) Genauigkeit. Anmerkung: Letzteres stimmt nicht für den TI-89, sondern nur für – dass als Grundlage für das CAS des TI-89 dienende – Derive!

Diese Fähigkeiten kann man ausnutzen und dem TI-89 genau sagen, was er mit den eingetippten Ausdrücken machen soll. So kann man zum Beispiel eine Gleichung nach einer bestimmten Variablen umstellen lassen!

Für mich sind das Fähigkeiten, die ich damals nur einem Menschen zugetraut hätte, oder maximal einem Mainframe Computer.

Derive ist ein schon Ende der Achtziger Jahre, von Albert D. Rich und David R. Stoutemyer, auf Honolulu entwickeltes CAS, mit dem Anspruch, es für Microcomputersysteme wie CP/M-80 oder PC-DOS (MS-DOS) zugänglich zu machen. Vorherige CAS sind vermutlich für größere Rechner entwickelt worden.  In den Neunzigern gab es Derive sogar auf einer PCMCIA-Karte zum Einstecken in den bekannten, MS-DOS basierenden, Palmtop Computer HP-95LX von Hewlett Packard. Diese Kombination war dann – sozusagen – ein direkter Vorläufer vom TI-89. Auch dies für mich nahezu unglaublich: Ein CAS in einem Palmtop – batteriebetrieben.

Mittlerweile gibt es noch bessere Taschenrechner wie den TI-89. Aber meist sind die Verbesserungen nur im Display (stromfressende Farbdisplays) oder in zusätzlichen Applikationen zu sehen. Mir gefällt der TI-89 deshalb so gut, weil er ein sehr stabiles Gehäuse und ein sparsames LCD-Display hat und lange Zeit mit 4 überall erhältlichen AAA-Batterien läuft. Einfach ein solides kleines Werkzeug, um überall auf der Welt Mathematik zu betreiben.

Ich würde ja so gerne Lady Ada einen TI-89 in die Hand drücken und hören, was sie dazu sagt.

Taschenrechner in der Schule (Achtung: Enthält Ironie)

Viele Lehrer messen Ihre Schüler hauptsächlich daran, wie gut sie rechnen können. Für die war es ziemlich schlecht, als die ersten Taschenrechner auf den Markt kamen. Eine Zeit lang konnte man darum Taschenrechner in der Schule verbieten. Manche Schüler nutzten sie aber trotzdem. Zum Beispiel bei den Hausaufgaben. Das konnten die Lehrer nicht kontrollieren. Außerdem rechnete bald jeder vernünftige Mensch außerhalb der Schule mit einem Taschenrechner. Da mussten die Lehrer nachziehen und den Schülern zeigen wie man mit einem Taschenrechner rechnet. Zumindest denen, die es noch nicht konnten.

Glücklicherweise gab es in den höheren Klassen eine Art von Mathematik, die die damaligen Taschenrechner nicht beherrschten: Den Umgang mit algebraischen Ausdrücken. Das war gut, jetzt konnten die Lehrer wieder ihre Schüler daran messen, wie gut sie rechnen konnten – halt mit algebraischen Ausdrücken.

Dummerweise gibt es jetzt einen TI-89 (oder einen HP-48, einen HP-50, oder einen Algebra FX 2.0). Die können auch algebraisch rechnen. Die Schüler können damit ganz einfach mit algebraischen Ausdrücken umgehen, sie müssen gar nicht mehr selbst rechnen können. Sie könnten sich jetzt eigentlich einfach an echte Probleme begeben und die mühselige Rechenarbeit den Taschenrechner machen lassen.

Aber warum klappt das nicht? Warum erlauben manche Schulen den Einsatz eines solchen Rechners nicht?

Ich kann nur vermuten, dass dies daran liegt, dass die Lehrer jetzt etwas mehr arbeiten und nachdenken müssten. Anstatt die armen Schüler sinnlos rechnen und rechnen zu lassen, müssten sie sich jetzt einmal wirklich praktisch nachvollziehbare Probleme überlegen und diese mit Ihren Schülern durchdenken, um sie anschließend vom CAS lösen zu lassen.

Doch man muss gar nicht bis in die CAS Welt vordringen. Schon ab dem ersten Einsatz von Taschenrechnern in der Schule, so etwa ab der 7. Klasse, gibt es offenbar (zumindest hierzulande) ganz unterschiedliche Ansichten darüber, wie viel Taschenrechnen man den Schülern zumuten darf.

Wie weit das ulkiger Weise in Deutschland geht, sei einmal am Taschenrechnerprogramm von Casio gezeigt. Bei Casio gibt es zum Beispiel vier Taschenrechner, die hardwaremäßig, außer der Farbgebung, vollständig identisch sind:

  • FX-991DE Plus
  • FX-86DE Plus
  • FX-85DE Plus
  • FX-82DE Plus

Der FX-991 kann am meisten, bei den anderen fehlen jeweils bestimmte Funktionen. Der Begleittext zum FX-86 gibt uns einen Hinweis. Er ist angeblich gut geeignet für die Bundesländer Bayern und Berlin/Brandenburg. Das lässt die Vermutung zu, dass es in Deutschland für jedes Bundesland individuelle Regeln gibt, was ein Taschenrechner können darf oder nicht. Es wird also nicht einfach der beste Taschenrechner genommen, sondern es werden Taschenrechner individuell beschnitten, damit sie für einen speziell konzipierten Unterricht passen.

Einmal von diesen feinen Unterschieden abgesehen, gibt es darüber noch gröbere Abstufungen:

  • Wissenschaftliche Rechner
  • Programmierbare Rechner
  • Grafikrechner
  • CAS-Grafikrechner

Wissenschaftliche Rechner

Das sind die Feld-, Wald- und Wiesenrechner für die Schule. Die können alles, was früher einmal ein Taschenrechner für Wissenschaftler können sollte. Heute, vermute ich einmal, kaufen sich Wissenschaftler einen CAS-Grafikrechner.

Programmierbare Rechner

Die geilen Teile aus meiner Jugend. Sie machten unendlich vielfältige Kreativität möglich und später sogar das Spicken in nahezu allen Fächern. Weil man neben Programmen auch Texte auf ihnen speichern konnte. Deswegen sind sie mittlerweile meist verboten. Unglaublich!

Grafikrechner

Die sind oft erlaubt. Anhand der schönen Grafiken, die ein unmittelbares, bildhaftes Verständnis von Funktionen ermöglichen, haben die Lehrer doch erhebliche Probleme damit, ihre Sinnlosigkeit zu erklären.

CAS-Grafikrechner

Die können alles und sind immer auch programmierbar und damit ganz klar die ‚geilen Teile‘ der heutigen Zeit. Womit sich viele Lehrer wieder sehr schwer tun.

Ich will hier nicht auf allen Lehrern herum hacken. Es gibt vereinzelt welche, die sehr wohl erkannt haben, welche Bedeutung CAS für die Zukunft der mathematischen Bildung hat. Aber viele haben doch ihre Probleme damit.

Casio FX-991

Noch ein Wort zum Casio FX-991: Der bietet im Vergleich mit den Taschenrechnern der Siebziger oder Achtziger ein paar echte Innovationen! Obwohl er weder Grafik noch CAS besitzt, geschweige denn programmierbar ist, ist er in der Lage Ausdrücke in ‚natürlicher Schreibweise’ darzustellen. In einem Punkt ist er sogar dem TI-89 überlegen: Er besitzt einen speziellen Eingabemodus, indem man Ausdrücke sogar während der Eingabe in der natürlichen Darstellung sieht.

Bei der Ausgabe eines Ergebnisses versucht er immer erst einmal eine genauere Darstellung des Ergebnisses mit Hilfe von Brüchen hinzubekommen. Sehr schön ist auch die Fähigkeit, die zuletzt eingegebenen Ausdrücke zu speichern und so zum Beispiel den Hergang einer etwas komplexeren Rechnung noch einmal zurück zu verfolgen.

Das ist ein gutes Konzept. Und darum gibt es ähnliche Taschenrechner auch von anderen Herstellern. Die kosten alle so um die 20,- Euro:

Es ist verblüffend, wie ähnlich sie sich sind. Alle haben zum Beispiel auch eine Solarzelle als Ergänzung zur eingelegten Batterie. Ich dachte erst, das wäre ein Gag und habe durch Herausnehmen der Batterie beim 991 ausprobiert, ob er auch ohne Batterie funktioniert. Tut er!

CAS Taschenrechner

Den TI-89 gibt es nicht mehr. Aber dafür den Nachfolger TI-89 Titanium. Ähnliche Rechner gibt es aber auch von anderen Herstellern. Die kosten so zwischen 90,- und 200,- Euro:

Info von Texas Instruments:

Zulassungsrichtlinien Taschenrechner in zentralen Abschlussprüfungen

Lady Anne Lytton

  1. markusk
    Februar 24, 2013 um 1:17 pm

    sehr amüsant.. hab deinen blog grad vom playstore (gpssend) kommend entdeckt – und wovon les ich da als ersten post: derive! das programm ohne dem ich wohl nie meine matura (=abitur) geschafft hätte 8) und das ganz legal.

    war in den frühen 90ern in einer der ersten klassen hier in österreich die in einem schulversuch (realgymnasium mit schwerpunkt informatik) das programm zur verfügung gestellt bekamen.. natürlich auch da die ständige divergenz was wir denn jetzt noch „von hand“ machen sollten/können müssten oder wo wir uns doch auf den computer verlassen dürfen – war ja auch von pädagogischer seite alles neu, lehrer zum teil selbst noch von den neuen werkzeugen überfordert..

    cheerz,
    markus.

  1. No trackbacks yet.

Hinterlasse einen Kommentar